Wo die arktische Küste zerfällt, verändert sich das Leben im Meer

(04.01.2017) Das Auftauen und die Erosion der arktischen Permafrostküsten hat in den zurückliegenden Jahren so stark zugenommen, dass sich das Meer in manchen Regionen weiter als 20 Meter pro Jahr in das Land frisst. Die dabei abgetragenen Erdmassen trüben zunehmend die Flachwasserbereiche und setzen Nähr- und Schadstoffe frei.

Welche Folgen diese Prozesse jedoch für das Leben in der Küstenzone und somit auch für Fischgründe haben, ist unerforscht. Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Institutes, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) rufen deshalb in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Nature Climate Change dazu auf, die ökologischen Folgen der Küstenerosion in den Fokus zu rücken.

Grafische Darstellung der Küstenerosion und ihrer biogeochemischen Folgen für die Flachwasserzone.; Bildquelle: Alfred-Wegener-Institut/Michael Fritz/Y. Nowak
Grafische Darstellung der Küstenerosion und ihrer biogeochemischen Folgen für die Flachwasserzone.

Gebraucht werde ein interdisziplinäres Forschungsprogramm, welches politische Entscheidungsträger sowie die Bewohner der arktischen Küsten von Anfang an mit einbeziehe, so die Wissenschaftler.

Der Unterschied könnte kaum größer sein. Im Winter, wenn die Beaufortsee rund um die nordkanadische Permafrostinsel Herschel Island zugefroren ist, sieht das Meerwasser in den Probenfläschchen des AWI-Forschers Dr. Michael Fritz glasklar aus.

Im Sommer aber, wenn die Eisschollen geschmolzen sind und Sonne und Wellen an der Steilküste nagen, enthält der Probenschöpfer des Potsdamer Geowissenschaftlers eine trübe Brühe.

„Herschel Island verliert pro Jahr bis zu 22 Meter seiner Steilküste. Der aufgetaute Permafrostboden rutscht dann in Form von Schlammlawinen ins Meer und trübt die umgebenden Flachwasserbereiche so großflächig ein, dass die braun-grauen Sedimentfahnen viele Kilometer weit ins Meer hineinreichen“, berichtet der Polarforscher.

Seine Beobachtungen von Herschel Island lassen sich inzwischen auf weite Teile der Arktis übertragen.

34 Prozent der Küsten weltweit sind Permafrostküsten. Das heißt, vor allem in der Arktis enthält ihr Boden jede Menge gefrorenes Wasser, welches die eingelagerten Sedimente wie Zement zusammenhält. Taut der Permafrost auf, versagt die bindende Wirkung. Die zuvor im Eis eingeschlossenen Sedimente, Tier- und Pflanzenreste lösen sich und werden von den Wellen davongewaschen.

Bei diesem Vorgang werden nicht nur die klimarelevanten Treibhausgase Kohlendioxid und Methan freigesetzt. Das erodierte Material enthält auch jede Menge Nähr- und Schadstoffe wie Stickstoff, Phosphor oder Quecksilber. Diese Stoffe gelangen in das Meer, werden dort weiter transportiert, abgebaut oder angereichert und verändern nachhaltig die Lebensbedingungen im Flachwasserbereich. „Die Folgen für das Nahrungsnetz können wir bisher nur erahnen.

Bis heute ist nämlich so gut wie gar nicht untersucht worden, wie sich die Biogeochemie der Küstenzone im Zuge der zunehmenden Erosion verändert und welche Konsequenzen dies für die Ökosysteme, für wichtige Fischgründe und somit am Ende auch für die Menschen in der Arktis hat“, sagt Michael Fritz.

Aus diesem Grund rufen er, die niederländische Permafrostexpertin Jorien Vonk und AWI-Forscher Hugues Lantuit in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Nature Climate Change die Polarforschungsgemeinde dazu auf, die Folgen der Küstenerosion für die arktischen Flachwasserbereiche systematisch zu untersuchen. „Die Prozesse in der arktischen Küstenzone spielen aus vier Gründen eine herausragende Rolle.

Erstens wird hier das abgetragene organische Material von Mikroorganismen zersetzt, wobei Treibhausgase entstehen. Zweitens kurbeln freigesetzte Nährstoffe das Wachstum der Algen an, was unter Umständen zur Bildung sauerstoffarmer Zonen führen kann. Drittens verstärkt der Eintrag organischen Kohlenstoffs die Versauerung des Meeres und viertens werden die Sedimente am Meeresboden abgelagert oder aber auf die offene See hinaustransportiert.

Beides hat unmittelbare Folgen für die Biologie des Meeres“, so die Autoren.

Die Dringlichkeit des Themas steige zudem mit der Erwärmung der Arktis: „Wir gehen davon aus, dass die Erosion der arktischen Küsten drastisch zunehmen wird – bedingt durch die steigenden Temperaturen, das Schrumpfen der schützenden Meereisdecke sowie durch den steigenden Meeresspiegel.

Er führt dazu, dass die Wellen in der meereisfreien Zeit immer höher und weiter an die Küsten schlagen“, sagt AWI-Permafrostexperte und Co-Author Prof. Dr. Hugues Lantuit.

Eine Erosion in diesem Ausmaß werde zweifelsohne die Nahrungsnetze in der Küstenzone verändern und somit vor allem jene Menschen treffen, die vom Fischfang abhängig sind und ihre traditionelle Lebensweise entlang der arktischen Küsten pflegen.

Der Hauptgrund dafür, warum bis heute zu diesem Thema kaum geforscht wurde, sind vor allem logistische Probleme. Viele der arktischen Küsten- und Flachwasserzonen sind weder per Auto und Flugzeug noch mit großen Eisbrechern zu erreichen. Es gibt auch kein arktisumspannendes Stationsnetzwerk, welches Forschern dazu dienen könnte, verlässliche Daten zu erheben.

„Politik und Wissenschaft müssen hier gemeinsame Lösungen finden, zum Beispiel im Rahmen des EU-Forschungsprogramms Horizon 2020. Denn um konkrete Aussagen zu den Folgen der Erosion machen zu können, brauchen wir ein interdisziplinäres Forschungsprogramm, welches politische Entscheider und die arktische Bevölkerung von Anfang an mit einbezieht“, so Michael Fritz.



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